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Vor 100 Jahren predigten die ersten Frauen in Schweizer Kirchen

Rosa Gutknecht und Elise Pfister waren die ersten Frauen, die in der Schweiz ordiniert wurden. Angestellt wurden sie aber mit weniger Lohn und zu Beginn nur als Pfarrhelferinnen.

Kaum ist das Reformationsjahr vorüber, steht im Herbst bereits das nächste Jubiläum an: Vor 100 Jahren, genauer gesagt am 27. Oktober 1918, wurden die ersten zwei Frauen in der Schweiz zum Pfarrdienst ordiniert. Am 19. Januar 1919 hielt Elise Pfister im Zürcher Neumünster erstmals Gottesdienst; Rosa Gutknecht bestieg am 2. August 1919 als erste Frau die Kanzel des ehrwürdigen Grossmünsters. Die beiden Frauen hatten gemeinsam in Zürich Theologie studiert; Rosa Gutknecht (1885-1959) begann im Herbst 1913, Elise Pfister (1886-1944) ein Semester später. Kennengelernt hatten sie sich aber schon vorher im Lehrerinnenseminar, wo Pfister eine Klasse später eingetreten war. Nach der vierjährigen Ausbildung unterrichteten beide als Primarlehrerinnen im Kanton Zürich, ehe sie diese sichere Stellung aufgaben und das Studium aufnahmen. Ihre berufliche Zukunft war ungewiss, denn ein Berufsbild für Theologinnen zeichnete sich damals selbst in Umrissen noch nicht ab.

Zürcher Landeskirche als Vorreiterin


Mit der Bestnote beendeten sie ihr Studium. Ihre Ordination fand in revolutionärer Zeit kurz vor dem Landesstreik statt. Auch bürgerliche Kreise setzten sich damals für Frauenrechte ein, und das Frauenstimmrecht schien laut der Politologin Sibylle Hardmeier «greifbar nahe». Die Frauenordination passte also in diese Zeit – noch nie zuvor hatte eine Landeskirche in Europa Frauen zum Pfarrdienst zugelassen. Und die Zürcher Landeskirche repräsentierte darüber hinaus einen protestantischen Bevölkerungsanteil von 76 Prozent. Die beiden Pionierinnen betraten Neuland. Wider Erwarten wurden sie schon bald von Kirchgemeinden als Pfarrhelferinnen angestellt: Elise Pfister begann am 9. Februar 1919 in Zürich-Neumünster, Rosa Gutknecht folgte Mitte Juni in der Grossmünstergemeinde. Beide bekamen zwar weniger Lohn als die männlichen, ordentlichen Pfarrer, hielten jedoch regelmässig Gottesdienste und übten auch die anderen pfarramtlichen Funktionen aus.

Beim Volk beliebt

Pfister war eine beliebte Predigerin. Ihre Wertschätzung bezeugen drei Petitionen, in denen sich über 5000 Gemeindemitglieder für ihre definitive Wahl auf eine ordentliche, vom Kanton bezahlte Pfarrstelle einsetzten. Auch zu Gutknechts Gottesdiensten kamen Besucherinnen und Besucher aus der ganzen Stadt, da ihre «klar formulierten, lebensnahen und hilfreichen Predigten» überzeugten, wie es eine Predigtgängerin ausdrückte.

Nur eine Handvoll Theologinnen

Als ab den 1930er-Jahren die nächsten Theologinnen die Universitäten verliessen, machten sich die Kantonalkirchen daran, die pfarramtliche Tätigkeit zu regeln: Erteilung der Ordination, Erlaubnis zur Tätigkeit auf zusätzlichen, von den Kirchgemeinden bezahlten Pfarrstellen neben dem Pfarrer auf der ordentlichen Pfarrstelle. Das ging einher mit weiteren Diskriminierungen: Pfarrerinnen durften beispielsweise predigen und taufen, nicht aber überall das Abendmahl leiten. Im Vergleich zum angrenzenden Ausland, etwa zu den evangelischen Landeskirchen in Deutschland, waren die Theologinnen in der Schweiz jedoch von Anfang an viel besser gestellt. Ende der 1950er-Jahre waren in der Deutschschweiz gerade mal 16 Theologinnen in Kirchgemeinden tätig. Das Jahrzehnt darauf war jedoch geprägt von einem gesellschaftlichen Aufbruch und einem allgemeinen Mentalitätswandel. Und so setzte damals auch die rechtliche Gleichstellung der Pfarrerinnen ein: Die Wahl in ein Einzelpfarramt oder auf andere ordentliche Pfarrstellen wurde möglich, nachdem das Kirchenvolk – in einigen Kantonen waren die Frauen auch schon stimmberechtigt – die erforderliche Änderung der Kirchenordnung genehmigte. 40 Jahre früher wäre eine Abstimmung «schwerlich zu Gunsten der Pfarrerin ausgefallen», räumte damals Elise Pfister ein.

Ein prägender Entscheid

Bald sind 100 Jahre vergangen, seit bei den Schweizer Reformierten Pfarrerinnen wirken. Für den Schriftsteller Emanuel Stickelberger – eigentlich ein vehementer Gegner der Frauenordination – gab es seit der Reformation «keinen wichtigeren Entschluss». Ein grosses Jubiläum steht also bevor.

Quelle: www.ref.ch, 14. März 2018, Pierre Aerne