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Zwangsverwaltung der Kirchgemeinde Thun-Strättligen: Der Schlichter

Seit wenigen Wochen verwaltet der ehemalige Berner Regierungsstatthalter Christoph Lerch die Kirchgemeinde Thun-Strättligen. Er muss die Wogen glätten, Rechnungen unterzeichnen und Nachfolgerinnen für den Kirchgemeinderat finden.

Wer mit der Kirchgemeinde Thun-Strättligen in Kontakt treten will, braucht Geduld. Auch während der Öffnungszeiten des Sekretariats gibt es kaum einen Weg an der Combox vorbei. Diese Erfahrung musste selbst der ehemalige Regierungsttatthalter Christoph Lerch (SP) machen, als er kürzlich unterwegs war und dort anrief. Dennoch sagt er: «Thun-Strättligen ist eine gut organisierte Kirchgemeinde.» Es sind die Umstände, die aussergewöhnlich sind. Seit dem 11. Januar 2023 verwaltet Lerch die Kirchgemeinde Thun-Strättligen im Auftrag des Berner Regierungsrates. Wegen Meinungsverschiedenheiten mit der Gesamtkirchgemeinde von Thun hat die fünfköpfige Exekutive der Kirchgemeinde Thun-Strättligen im Herbst des vergangenen Jahres ihren kollektiven Rücktritt bekannt gegeben. Seither ist die Kirchgemeinde beschlussunfähig. In solchen Fällen schreibt das Gemeindegesetz des Kantons Bern vor, dass die Regierung eine Verwalterin einsetzt, bis der Kirchgemeinderat wieder selbständig Entscheidungen treffen kann. «Seit 2006 mussten insgesamt 11 Kirchgemeinden unter besondere Verwaltung gestellt werden», sagt Rolf Widmer vom Amt für Gemeinden und Raumordnung auf Anfrage. In anderen Kantonen wie dem Aargau oder St. Gallen sind es die Landeskirchen, die für die Verwaltung von Kirchgemeinden in Schieflage zuständig sind.

Ein Neustart auf mehreren Ebenen

Bei der Kirchgemeinde Thun-Strättligen kam beim Rücktritt des Kirchgemeinderats erschwerend hinzu, dass auch der Leiter des Sekretariats seine Stelle aufgab, wie Verwalter Christoph Lerch erzählt. Sein Abgang wurde nicht ganz kompensiert. Auch deshalb war die Kirchgemeinde schwer erreichbar. Von administrativem Chaos, das Meinungsverschiedenheiten gelegentlich nach sich ziehen, dagegen keine Spur. Die Arbeitsweise des früheren Sekretariatsleiters und des Kirchgemeinderats lobt Lerch explizit. Mit dem ehemaligen Präsidenten und dem Finanzverantwortlichen hat er sich für die Übergabe getroffen. «Alle Pendenzen waren sauber aufgelistet und dokumentiert», sagt Lerch. Im internen Kirchenweb fände er alle Informationen, die er brauche. Auch das Gemeindeleben blühe in Thun-Strättligen. «Um Weihnachten lief viel, wie ich auf den Rechnungen sehe, die ich visiere», sagt Lerch. Er spricht von einem engagierten Team, das sich um das Tagesgeschäft und Projekte wie die Flüchtlingshilfe kümmert. «Das sollte im Zentrum stehen.» Nicht immer war das jedoch der Fall. Besonders der Konflikt zwischen dem Kirchgemeinderat und der Gesamtkirche Thun sorgte in der Vergangenheit regelmässig für Schlagzeilen. Als die Gesamtkirche etwa die sanierungsbedürftige Johanneskirche verkaufen wollte, folgte ein jahrelanges Kräftemessen. Kirchenmitglieder aus dem Umfeld des Kirchgemeinderats Thun-Strättligen lancierten eine Initiative mit dem Ziel, den Verkauf der Johanneskirche zu verhindern – mit Erfolg. Seither ist unklar, wie es weitergeht. Zurzeit befasst sich der kleine Kirchgemeinderat – die Exekutive der Gesamtkirche Thun – mit Fragen zum Unterhalt der Kirche.

Die Neubesetzung des Kirchgemeinderats als Hauptaufgabe

«Ich versuche, die Vergangenheit hinter mir zu lassen und neu anzufangen», sagt Lerch. Dazu gehört, zwischen den Parteien zu vermitteln, wobei mit dem Kirchgemeinderat eine Partei wieder neu aufgebaut werden muss. Für Lerch ist die Vermittlerrolle im Übrigen nichts Neues. Als ehemaliger Regierungsstatthalter der Region Bern-Mittelland war er in vielen Fragen die erste Rekursinstanz, beispielsweise bei Baugesuchen oder Lärmbeschwerden. «Der Umgang mit Menschen liegt mir», sagt er. Mit Thun ist er verbunden, weil er dort aufgewachsen ist. Von seinem ehemaligen Amt weiss er, dass eine gute Zusammenarbeit langsam entsteht und auf persönlichen Kontakten aufbaut. Als ihm das Mandat als Verwalter der Kirchgemeinde angeboten wurde, habe er geantwortet, dass er für die Aufgabe ein ganzes Jahr brauche. Das deckt sich mit den Erfahrungen des Kantons Bern. «Die Dauer einer besonderen Verwaltung variiert zwischen sechs Monaten und einem Jahr», sagt Rolf Widmer. In Ausnahmefällen habe die externe Verwaltung aber auch schon drei Jahre oder länger gedauert. Ein Szenario, das Lerch unbedingt verhindern möchte. Kürzlich hat er Andreas Lüscher getroffen. «Vor zwangig Jahren wurde er Verwalter der Gesamtkirche Thun, jetzt ist er Präsident des kleinen Kirchgemeinderats», sagt Lerch. Ein Kollege sozusagen. Lüscher war zuvor Präsident des Vereins «Reformierte Thun», der letztes Jahr gegründet wurde. Die rund 70 Mitglieder setzen sich dafür ein, dass die Streitereien zwischen der Kirchgemeinde und der Gesamtkirche zu einem Ende kommen und Gespräche über eine Fusion aufgenommen werden. Aus diesem Engagement schöpft Lerch Hoffnung.

Überholte Strukturen

Am 22. März findet in Strättligen eine ausserordentliche Versammlung zum Thema Fusionsabklärungen statt. Lerch betont gleich mehrmals, es gehe um Abklärungen. Persönlich halte er eine Fusion für sinnvoll, sagt er mit Verweis auf das Beispiel Köniz. Dort wurden aus den ehemaligen Kirchgemeinderaten Kirchenkreiskommissionen. «Sie können sich voll um das kirchliche Leben kümmern und müssen sich nicht mit Personellem oder Fragen zu den Liegenschaften herumschlagen», sagt Lerch. Wie sich die Mitglieder der Kirchgemeinde positionieren, lässt sich schwer abschätzen. Während die zurückgetretenen Kirchgemeinderäte eine Fusion entschieden ablehnen und sich sogar eine Abspaltung von der Gesamtkirche wünschen, haben andere Mitglieder aus Strättligen im Grossen Kirchgemeinderat – dem Parlament der Gesamtkirche – den Antrag für ein Fusionskonzept unterstützt. Neben Thun-Strättligen befassen sich auch die anderen vier Kirchgemeinden der Gesamtkirche Thun mit dem Thema Fusion. Die Kirchgemeinde Thun-Stadt hat als Erste Ja zu ihr gesagt. Bis es aber zu einem Zusammenschluss kommen könnte, vergehen noch Jahre. Auf eine solche Dauer ist Lerchs Aufgabe nicht ausgelegt. Sein Fokus liegt aktuell darauf, den Kirchgemeinderat neu zu besetzen. Lerch hofft, bis im Sommer sieben Interessentinnen und Interessenten für eine Kandidatur zu gewinnen, um sie vor den Wahlen an der Kirchgemeindeversammlung im Winter in das Amt einführen zu können. Auf ihn warten somit viele Gespräche. Trotz eines «schwierigen Umfelds» zeigt sich Lerch zuversichtlich, sein Mandat als Verwalter erfüllen zu können.

Quelle: www.ref.ch, Fabio Peter, 27.02.2023