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Thuner Stadtkirche: Kopfschütteln bei Kulturveranstaltern

Dass die Stadtkirche Thun derzeit für kulturelle Veranstaltungen nur zu zwei Dritteln besetzt werden kann, stösst bei einigen Kultur-Anbietern auf Unverständnis. So weicht der Cäcilienchor nach Spiez aus; für den Cantus-Regio-Chor hingegen «waren die Vorgaben überhaupt kein Problem».

Für den Cäcilienchor gabs nur den Regen oder die Traufe: «Wir mussten Anfang Oktober entscheiden», sagt Präsident Dieter Würgler. Und meint damit, ob der alteingesessene Thuner Chor seine beiden Abschiedskonzerte vom langjährigen Dirigenten Joseph Bisig in der Stadtkirche aufführt und damit ein grösseres Defizit einfährt. Oder doch ins Exil ausweicht. Und damit ebenfalls ein Risiko auf sich nimmt. Denn die Ausgangslage ist klar: Trotz der durch Bund und Kantone gelockerten Schutzmassnahmen und der Zertifikatspflicht hat sich die Kirchgemeinde Thun-Stadt für einen strengeren Kurs entschieden. Für kulturelle Veranstaltungen darf die Kirche nur zu zwei Dritteln gefüllt werden, was 320 statt der möglichen 480 Plätze entspricht. Kommt hinzu, dass alle Auftretenden davon abgezogen werden. Sprich: Für den Cäcilienchor, der zusammen mit dem Thuner Stadtorchester und dem Kirchenchor Thun-Strättligen auftritt, war die Rechnung schnell einmal gemacht. «Wir sind rund 90 Leute in den beiden Chören und 40 im Orchester», erklärt Dieter Würgler. «Wir könnten demnach nur noch 190 Tickets pro Konzert verkaufen.» Das sei aber viel zu wenig, um beim Budget von rund 50’000 Franken kostendeckend zu fahren: «Wir würden mit diesen Vorgaben ein Defizit von 25’000 Franken einfahren», sagt Dieter Würgler. «Und das können wir uns schlicht nicht leisten.»

Wegzug hat auch finanzielle Konsequenzen

Dennoch: Der Entscheid, eine andere Konzertlokalität zu suchen, fiel dem Cäcilienchor nicht leicht. «Wir hätten gerne in der Stadtkirche, unserem angestammten Konzertokal, Abschied von unserem Dirigenten genommen, zumal es sich um ein Requiem handelt», sagt Würgler. Er geht davon aus, dass längst nicht alle Konzertbesucherinnen und -besucher den Weg ins Exil auf sich nehmen: Denn die Konzerte vom kommenden Wochenende gehen nun im Spiezer Lötschbergsaal über die Bühne. «Es war für uns die einzige verfügbare und finanziell verkraftbare Möglichkeit», erklärt Würgler. «Eine Expo-Halle zu mieten, wäre zu teuer gekommen. Und der Burgsaal war bereits besetzt.» Für die Miete der Stadtkirche wären 3500 Franken an Kosten entstanden. Geld, dass der Kirche nun entgeht. Dass aber auch der Wegzug nach Spiez finanzielle Auswirkungen für den Cäcilienchor haben wird, zeichnet sich bereits jetzt ab: «Derzeit haben wir lediglich 210 und 320 der jeweils möglichen 559 Tickets im Lötschbergsaal verkauft», sagt Würgler. «Damit wir rauskommen, müssen aber 800 Tickets weg.» In anderen Jahren war die Stadtkirche zum Teil zweimal ausverkauft. So auch beim letzten Konzert im Jahr 2019.

«Kirche sollte für alle offenstehen»

Dieter Würgler ist zwar froh, dass doch noch eine Alternative zur Stadtkirche gefunden werden konnte. Doch der Chorpräsident trauert auch der «verpassten Chance» nach, wie er sagt: «Die Zertifikatspflicht hat uns Freiheiten zurückgebracht, welche wir nun nicht nutzen können, weil die Kirche ein eigenes Zügli fährt.» Das sei auch deshalb schwierig zu verkraften, weil der Chor mit den durch Corona erschwerten Proben und den abgesagten Konzerten im letzten Jahr keine einfache Zeit hinter sich habe. Und noch etwas gibt Dieter Würgler zu bedenken: «Die meisten Leute, die auftreten oder unsere Konzerte besuchen, sind Mitglieder der reformierten Kirche und bezahlen Kirchensteuern. Da erwarte ich, dass die Kirchen auch für andere als religiöse Veranstaltungen offenstehen.» Er habe aber in letzter Zeit das Gefühl gehabt, kulturelle Veranstaltungen, die oftmals mehr Leute in die Kirche lockten, würden als Konkurrenz betrachtet. Kein Verständnis für die aktuelle Corona-Politik der Kirchgemeinde hat auch der Präsident des Stadtorchesters, Christoph Müller, welcher den Anlass zwar nicht organisiert, aber die Konzerte in seinem Abonnement führt: «Ich verstehe die Haltung der Kirchgemeinde nicht», sagt Müller. So, wie er sich über Menschen ärgere, die sich über alle Regeln hinwegsetzten, ärgere er sich auch über jene, welche die Regeln von Bund und Kanton noch restriktiver auslegten. Und Christoph Müller weiss: Nicht alle Konzertgängerinnen und -gänger machen einen solchen Wechsel des Konzertlokals mit. «Wir hatten beim Umbau des Schadausaals im Jahr 2010 das gleiche Problem. Der Umzug in den Lötschbergsaal kostete uns ganz klar Publikum».

«Für uns waren diese Vorgaben überhaupt kein Problem»

Weniger Probleme hatte der Cantus-Regio-Chor. Dies vor allem auch deshalb, weil er vor einer Woche nur ein Kurzkonzert in der Stadtkirche gab: «Wir haben wegen der strengeren Auflagen der Kirche statt einem zwei Konzerte gespielt», sagt Präsident Rolf Jordi. So hätten sich die rund 270 Besucherinnen und Besucher gut verteilt. «Für uns waren diese Vorgaben überhaupt kein Problem.» Wegen Corona umplanen, umorganisieren, auch improvisieren und viel Zusatzeinsatz leisten mussten hingegen die Organisatoren der Bachwochen im September: «Aufgrund des Schutzkonzepts in der Stadtkirche mussten wir die h-Moll-Messe leider kurzfristig absagen und durch ein alternatives Programm ersetzen», sagt der künstlerische Leiter, Vital Frey. Die beliebte Messe werde aber im Programm 2022 erneut aufgenommen: «Viele Klassik-Interessierte waren sehr enttäuscht und gaben ihre bereits gekauften Tickets zurück», sagt Frey.

«Wollen keinen Ansteckungsherd Stadtkirche»


Und was sagt die zuständige Kirchgemeinde Thun-Stadt? «Wir haben die Situation analysiert und einstimmig entschieden, wie wir die Corona-Schutzmassnahmen in der Stadtkirche handhaben», sagt Heinz Leuenberger, welcher der Corona-Taskforce der Kirchgemeinde Thun-Stadt vorsteht. «Und wir sind zum Schluss gelangt, dass es unverantwortbar ist, wenn wir 600 Leute aufs Mal in die Kirche reinlassen, zumal die dortige Lüftung die Luft nur umwälzt und keine Frischluft dazukommt.» An Heinz Leuenberger sind die vielen kritischen Voten, die er persönlich erhielt, nicht spurlos vorübergegangen: «Aber», hält er fest, «wir wollen gerade auch im Hinblick auf die steigenden Infektionszahlen keinen Ansteckungsherd Stadtkirche. Und dabei bleibts.»

Quelle: Thuner Tagblatt, 16.11.2021, Barbara Schluchter-Donski