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Reutigen: Besonderheiten und Gemeinsamkeiten zweier Gotteshäuser

Die Kirchen Reutigen und Wimmis stammen aus unterschiedlichen Epochen, überraschen aber dennoch mit einigen Ähnlichkeiten.

Laut einer Überlieferung soll die Kirche Reutigen schon im Mittelalter eine weitherum bekannte Marienwallfahrtstätte gewesen sein, sie zählt aber nicht zu den «zwölf Thunerseekirchen». Die dem heiligen Martin geweihte Kirche in Wimmis hingegen gilt zusammen mit Aeschi, Amsoldingen, Einigen, Frutigen, Hilterfingen, Leissigen, Scherzligen, Sigriswil, Spiez, Thierachern und Thun zu den zwölf 1000-jährigen Kirchen am Thunersee. «Es bestand hier schon im 8. Jahrhundert eine Vorgängerkirche», erzählt Ruedi Schneiter, Präsident der Fachkommission für Dorfgeschichte, in der Kirche Wimmis. Er erwähnt die Ausgrabungen von 1962, wo Fundamentresten zutage kamen: «Die Grundform der ersten Kirche in Wimmis zeugt interessanterweise von Ähnlichkeiten mit den Vorgängerkirchen von Spiez, Scherzligen und Amsoldingen.» Es wird angenommen, dass die heutige Kirche älter ist als ihre erstmalige Erwähnung anno 1228 im Kirchenverzeichnis des Bistums Lausanne. Einen solchen Eintrag kann Reutigen hingegen nicht aufweisen, «aber es bestand hier bereits im 7. Jahrhundert eine Vorgängerkirche», meint Schneiter.

Erneuerungen in beiden Kirchen

Die Urkunde einer Stiftung belegt die Existenz des Gotteshauses in Reutigen ab 1330, wie in einem Reutiger Kirchenführer zu lesen ist. Dieser beschreibt auch besonders das Türmchen, das sich über einem achteckigen, geknickten Spitzhelm erhebt und mit einem grossen, schmiedeeisernen Kreuz versehen ist. Im Innern kam es im Wandel der Zeit zu Erneuerungen, das einstige romanischen Chorgewölbe wich einer hölzernen Flachdecke, die wiederum einer gedrückten Backsteintonne weichen musste, bis 1909 das heutige Gewölbe entstand. Bedeutend wurde ihre äusserliche Gestalt 1952/1953 mit dem Bau der Eingänge und der Vorhalle an der Westfassade verändert. In Wimmis dominiert die breite Empore den rückwärtigen Teil des Kirchenraumes, die auf zwei Holzsäulen ruht und im Mittelteil halbkreisförmig ausschwingt. Im Laufe der Zeit wurden die mittelalterlichen Fensterchen an den Längswänden des Schiffs durch die grossen Rechteckfenster ersetzt.

Reutigen löst sich von Wimmis

Die meisten Fresken an den Wänden wurden anlässlich der Reformation übertüncht, doch der Passionszyklus und die Darstellung des segnenden Christus wurden wieder sichtbar gemacht. Wurden auch in Reutigen sämtliche Wandbilder aus gleichen Gründen übertüncht, wurden diese später bei Restaurierungen wieder freigelegt. Sie sind sehenswert, geben der Kirche ihren besonderen Reiz und zeugen von der Zeit, als die christliche Lehre der Gemeinde noch im Bild vor Augen geführt werden musste, da die Kunst des Lesens nur den gebildeten Leuten vorbehalten war. Gemeinsam in beiden Kirchen ist der im Vorderteil dominant erscheinende Taufstein. Die Kirche Reutigen erhielt ihren erst 1480, als sie eine eigene Kirchgemeinde wurde. «Der Stifter Hans Schütz, damals im Besitz der Herrschaftsrechte von Stocken und Mitherr von Reutigen, hat sich selbst mit seinem Wappen darauf verewigt», erläutert Schneiter und weist darauf hin, dass dieses blau-gelbe Familienwappen seit 1945 auch das Reutiger Dorfwappen sei.

350-jähriger Predigtstuhl


Der Taufstein der Kirche Wimmis ist vor rund 470 Jahren entstanden. Sein Becken ruht auf einem quadratischen Fuss, der wiederum auf einer achteckigen Platte gesetzt ist. Schneiter, auch zuständig für Kirchenführungen, erklärt die zwei Wappen am Taufbecken: «Das Taufbecken wurde gestiftet vom Landvogt von Büren und dem Pfarrer Andreas Wolf. Bis ins Jahr 1962 waren diese noch farbig angemalt, seitdem sind sie naturfarben.» Beinahe zur gleichen Zeit sind die Kanzeln der beiden Kirchen entstanden und stammen wohl aus der gleichen Werkstatt. Beide ruhen auf einer lang gezogenen Konsole in der Form einer umgekehrten Pyramide, und die Gliederung ihrer Brüstung zeugt vom Geschmack der Spätrenaissance. Diejenige in Reutigen entstand 1671, ein Jahr jünger und somit 350 Jahre alt ist die Wimmiser Kanzel. Die Sockelzone der Brüstung trägt die Initialen HGS PW und IS, die der 72-Jährige folgendermassen interpretiert: « HGS steht für Herr Gabriel Späting, PW für Prädikant Wimmis und IS möglicherweise für Jacob Stucki, den Erbauer der Kanzel.»

Quelle: Thuner Tagblatt, 14.04.2022, Hans Heimann