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KG Steffisburg: Auf dem Pilgerweg des Lebens

Thomas Schweizer trug massgeblich zur Entwicklung des Schweizer Pilgerwesens bei – und machte auf seinem Lebensweg selbst an vielen verschiedenen Orten halt. Jetzt geht der Sozialdiakon in Pension.

Pfarrer, Sozialdiakon, Politiker – und begeisterter Pilger, Fami­lienmensch und Naturfreund: Nach einem Vierteljahrhundert bei der Reformierten Kirchge­meinde Steffisburg geht der stu­dierte Theologe Thomas Schwei­zer Ende August in Pension. Aufgewachsen ist Schweizer auf einem Bauernhof in Rafz. «Als Kind war der Glaube ein eher unspektakulärer Teil im Le­ben meiner Familie – wir spra­chen nicht viel darüber», erin­nert er sich. Mit anderthalb Jah­ren wurde der einzige Sohn der Familie von einem Traktor über­fahren. «Ich überlebte nur knapp und realisierte später, was für ein Geschenk mir mit diesem zwei­ten Leben gemacht wurde – und dass ich beschützt worden war.» Eine Begegnung mit Gott? Ak­tiv mit Religion und Kirche be­schäftigte Schweizer sich aller­dings erst später. In Basel, Inns­bruck und Zürich studierte er Theologie. Als Pfarrer arbeitete er in Davos. Vor 24 Jahren zog er mit seiner Ehefrau Marlies und den drei Söhnen nach Steffisburg und wurde Sozialdiakon.

Gotteserfahrung in Finnland

«Prägend für meinen Weg war für mich ein Kontakt zur Com­munauté de Taizé», erzählt Schweizer. Jenen ökumenischen Orden in Frankreich, zu dessen internationalen Jugendtreffen jährlich über 100’000 Personen verschiedener Nationalitäten und Religionen anreisen, be­suchte er über 30 Mal. Nach Ab­schluss seiner Ausbildung war Schweizer gemeinsam mit seiner Frau Marlies ein Jahr lang für Taizé auf dem sogenannten «Pil­gerweg der Versöhnung» unter­wegs. «Aus jener Zeit habe ich vieles für mein Leben mitgenom­men.» Ein Erlebnis blieb besonders in Erinnerung. «Wir waren 1986 in Russland unterwegs, genau in der Zeit, als der Reaktor des Kernkraftwerks in Tschernobyl explodierte», sagt Schweizer. Wenige Tage später, das Paar weilte bereits in Finnland, erfuhr Thomas Schweizer vom Unglück. Mit der Nachricht kam die Ge­wissheit: «Unsere gesamten Be­sitztümer sind kontaminiert – wir mussten alles verbrennen.» In den folgenden Tagen erhiel­ten Schweizers von verschiede­nen Seiten Kleidung und Alltags­gegenstände geschenkt. «Das war für mich eine Got­teserfahrung. Ich entschied mich, darauf zu vertrauen, dass da je­mand ist, der zu mir schaut, und dass ich stets erhalte, was ich wirklich brauche – als Kopf­mensch fiel mir das nicht ganz so leicht», sagt der 65­-Jährige.

Der «Öko-Fundi» der EVP

Der Zusammenhalt in der Gesell­schaftund der Beitrag des Ein­zelnen sind für Schweizer denn auch Themen geblieben. «Ehren­amtliche Arbeit ist mir sehr wich­tig – sie ist der Weg, um meiner Vision einer friedlichen und nachhaltigen Welt näher zu kom­men», ist er überzeugt. «Indem wir zur Umwelt Sorge tragen, er­halten wir die Schöpfung», sagt der Theologe. «Ich möchte mei­nen Beitrag leisten.» So ent­schied sich das Ehepaar Schwei­zer schon früh, auf ein eigenes Auto zuverzichten: «Für den Fall der Fälle sind wir Mobility­-Mit­glieder.» Ihr Haus in Steffisburg baute die Familie umweltfreundlich um, legte einen Biogarten an, «der von Mai bis November Früchte trägt», wie Thomas Schweizer sichtlich stolz er­zählt. «Entsprechend bin ich auch in der EVP, für die ich im Grossen Gemeinderat politisie­re, ganz links angesiedelt – ich bin ein Öko­-Fundi», sagt Schwei­zer mit einem Schmunzeln.

Familie als Mittelpunkt

Seine Faszination fürs Reisen und für den Tourismus sowie das Engagement für eine nachhalti­ge Lebensweise führten Thomas Schweizer zum Pilgern. «Es ist eine ökologische Art des Reisens, die wenig Ressourcen ver­braucht», sagt er. Als das Pilgern in den Nullerjahren wieder ver­mehrt aufkam, initiierte er mit anderen zusammen eine In­standsetzungsaktion der Schwei­zer Pilgerwege und rief eine Aus­bildung für angehende Pilgerbe­gleiterinnen und­ -begleiter ins Leben. «Auch für mich ist das Pilgern wichtig», erzählt er. Insbesonde­re auf der griechischen Insel Pat­mos, von Griechenland als «hei­liges Land» deklariert, habe er dabei spirituelle Erfahrungen ge­macht. «Pilgern ist eine wunder­bare Art, an sich selbst zu arbei­ten – während des Gehens kom­men viele Themen hoch.» Der Höhepunkt seines Le­bens, das sei aber seine Familie, sagt Schweizer. «Meine Frau Marlies unterstützt mich un­glaublich stark – ohne sie hätte ich all meine Tätigkeiten nicht ausüben können.» Auch mit den drei Söhnen pflegt Schweizer ein enges Verhältnis: «Wir führen interessante Diskussionen.» Sei­ner Familie möchte Schweizer nach seiner Pension mehr Zeit widmen – ebenso seinem inter­nationalen Freundeskreis, der durch die Treffen von Taizé ent­stand.

Krankheit als Chance

Doch auch Tiefpunkte habe er er­lebt, sagt Thomas Schweizer. Zwei weitere Male entrann er knapp dem Tod. Weil er an ein Jugendtreffen von Taizé im indi­schen Madras, heute Chennai, reisen wollte, erhielt Schweizer Medikamente zur Malaria­-Pro­phylaxe. «An diesem Medika­ment starben damals 20 Perso­nen. Ich überlebte», sagt Schwei­zer – und klingt dabei heute noch ungläubig. «Allerdings brauchte ich ein halbes Jahr, um wieder auf die Beine zu kommen.» Schweizer wurde eine Allergie auf einen Inhaltsstoff des Medi­kamentes diagnostiziert – ein Stoff, der hierzulande in Antibio­tika zu finden ist. Ein solches wurde ihm Jahre später ver­schrieben, als er an einer starken Lungenentzündung litt. «Eine Tablette reichte, um mich erneut zwei Monate ausser Gefecht zu setzen.» Thomas Schweizer liess sich davon nicht unterkriegen. «Die­se  Krankheitsphasen liessen mich differenzierter denken – und haben mich ermutigt, für eine Welt einzutreten, die man nicht einfach so verschleudert.» Er nehme heute nicht mehr alles für selbstverständlich. «Wenn ich zurückblicke, bestätigen mir die­se Vorfälle erneut: Ich werde be­hütet und getragen, bin aber auch mitverantwortlich für die Bewahrung des Lebens auf die­ser Erde.»

Am Sonntag, 23. August, findet in der Kirche Glockental um 9.30 Uhr ein Gottesdienst mit Pfarrerin Veronika Michel und Vikarin Rachel Drollinger statt. Sozialdiakon Thomas Schweizer, Pfarrer Hansueli Minder und Vikarin Rachel Drollinger werden verabschiedet. Musik: Katrin Huggler, Flöte.

Quelle: Thuner Tagblatt, 21.08.2020, Janine Zürcher