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Hilterfingen: Merliger Pfarrer Christian Berger wird pensioniert

Pfarrer Christian Berger geht nach 22 Jahren in den Ruhestand. Ihm war wichtig, dass die Kirche zu den Menschen geht. Darum hat er oft an einer Haustür geklingelt.

In 22 Jahren läppert sich einiges zusammen: Über 800 Gottesdienste hat Christian Berger (65) gestaltet. Er hat 300 Kinder getauft, 235 junge Erwachsene konfirmiert und rund 400 Sigriswilerinnen und Sigriswiler beerdigt. «Die Arbeit hat mich emotional gebraucht», sagt der Pfarrer. Auch wenn er gern auf die Zeit zurückblicke, die ihm viel gegeben habe, so sei er angesichts des bevorstehenden Ruhestands auch erleichtert. «Es ist an der Zeit für frische Kräfte mit neuen Ideen.» Als eigentlichen Schlussstrich sieht Berger seinen letzten Gottesdienst am Sonntag, 28. November, jedoch nicht. «Ich nehme Abschied vom Amt des Pfarrers, aber nicht von den Menschen hier.» Mit denen fühle er sich nach wie vor sehr verbunden, darum bleibe er in der Gemeinde wohnhaft. Über die Jahre hinweg hätten sich viele Freundschaften entwickelt. «Man geht zusammen einen Weg, freut sich an Schönem und erträgt gemeinsam das Leid.» Stellvertretend nennt er das Beispiel einer Familie, bei welcher er den Mann konfirmiert, ihn und seine Braut getraut, die Kinder getauft und den Onkel beerdigt hat. Der Tod sei ein steter Begleiter eines Pfarrers, sagt Christian Berger nachdenklich. Er habe gelernt, sich abzugrenzen. «Zuerst kümmere ich mich intensiv um die Menschen, dann aber auch um mich.» Das sei wichtig. Er habe den Anspruch an sich gehabt, den Angehörigen in den schweren Momenten Trost und Energie zu spenden – wie ein Schwamm. «Aber manchmal war auch mein Schwamm leer», sagt Berger. «Wenn ein alter Mensch nach einem langen Leben stirbt, dann ist das der Lauf der Zeit. Nimmt sich aber ein junger Erwachsener das Leben oder erwacht eine Mutter mit schulpflichtigen Kindern nicht mehr, dann leide ich sehr mit.» In diesen Momenten trage er Zweifel in sich. «Ich frage mich, wieso ausgerechnet ich diesen Beruf ergriffen habe.» Aber irgendwann habe er sich immer wieder aufgerappelt. «Es hat mir nie komplett den Boden unter den Füssen weggerissen.» In all den Jahren sei er zur Erkenntnis gelangt, dass ein Pfarramt auszufüllen nicht mit der Frage verknüpft ist, ob man genügend Zeit hat, sondern vielmehr, ob die seelische Energie dafür reicht.

Dorfmensch durch und durch

Aufgewachsen ist Christian Berger in Finsterhennen. Die Zeit im kleinen Dorf im Seeland hat ihn geprägt. «Ich fühle mich wohl, wenn ich die Menschen kenne, die ich auf der Strasse sehe.» Es ist deshalb auch kein Zufall, ist Berger in Merligen gelandet. Nach dem Studium fand er zuerst eine Stelle in Brienz, später wechselte er nach Ostermundigen, «um näher bei meinen Verwandten im Seeland zu sein». Doch die Anonymität im Vorort von Bern hat Berger nicht behagt, darum ist er schliesslich mit seiner Frau und den drei Töchtern dem Ruf nach Merligen gefolgt. Das war 1999. Auch wenn man nie wisse, wohin einen der Lebensweg führe, so sei er doch mit der festen Absicht nach Merligen gekommen, zu bleiben. «Was ich beginne, bringe ich zu Ende.» Das Lebensmotto hat ihn bereits seinerzeit angespornt, die begonnene Malerlehre abzuschliessen. Obwohl er im zweiten Lehrjahr spürte, dass ihn sein beruflicher Weg in eine geistliche Tätigkeit führen wird. «Ich wollte unbedingt einen Abschluss in der Tasche haben. Schliesslich wusste ich nicht, ob es mit dem Theologiestudium klappt.»

Immer etwas vom Leben dabei

«Ich durfte viel Wunderbares erfahren», sagt der Pfarrer. Beispielsweise wenn es um Hochzeiten, Taufen oder Konfirmationen ging. «Da habe ich jeweils die Freude gespürt. Sie hat dabei vor mir nicht haltgemacht.» Besonders gerührt sei er, wenn ehemalige Konfirmanden ihre Kinder bei ihm taufen lassen. «Das beweist mir, dass Beziehungen gewachsen sind.» Er habe sich bemüht, Glaube und Leben zu verbinden, sagt Berger. «Mir war wichtig, in meinen Predigten immer etwas aus dem Leben einzuflechten. Ich wollte mich nicht nur in der Erlebniswelt der Bibel bewegen.» Er habe sich natürlich über all die Jahre in Merligen entwickelt – als Mensch wie als Pfarrer. «Meine Predigten sind etwas länger geworden», sagt Berger und schmunzelt. «Wenn man älter wird, dann hat man auch mehr in sich.» Länger als 20 Minuten wollte er aber nicht werden, «sonst hört niemand mehr zu». Für ihn machte es dabei keinen Unterschied, ob die Kirche rappelvoll oder halbleer war. «Wenn auch nur ein Mensch zugehört hat, war es mir mehr als recht.»

Berger machte oft den ersten Schritt. «Die Menschen müssen nicht nur zur Kirche kommen, die Kirche muss auch zu den Menschen gehen.» So habe er regelmässig an den Türen geklingelt. «Das hat sich gelohnt. So manch schöne Begegnung ist dadurch entstanden.» Zu Hause seien die Menschen oft zugänglicher. «Es ist ein Heimspiel für sie.» Nicht selten hätten ihm die Ziegen seiner ältesten Tochter den Weg zu den Herzen geöffnet. «Die Ziegen sind immer wieder ausgebüxt. Sie waren dorfbekannt. Schnell war dank ihnen ein Gespräch in Gang.» Wenn Christian Berger spricht, geht es immer wieder um Beziehungen. Man spürt, Berger ist ein Menschenfreund. Er interessiert sich für sie, für ihre Geschichten und Schicksale, will teilhaben. Er wird den Sigriswilern weiterhin zuhören, auch wenn er nicht mehr Pfarrer ist. Darüber dürfen sie sich glücklich schätzen.

Vorher steht Christian Berger noch einmal im Mittelpunkt – beim letzten Gottesdienst. «Es wird eine emotionale Angelegenheit», sagt er. Und was kommt danach? Die ganz grossen Pläne hat er noch nicht. Er liebt den Garten, werkelt gern an seiner Modelleisenbahn herum oder macht einen Abstecher in den Wohnwagen in Unterseen. Diese Tätigkeiten will er pflegen. Und irgendwann einen Austauschschüler, den er mit seiner Familie ein Jahr beherbergt hat, in Australien besuchen. Vorher hat er aber noch ein anderes Problem zu lösen: «Ich muss mir von nun an überlegen, wo ich am Sonntag in den Gottesdienst gehe», sagt Berger. Dann lacht er.

Quelle: Thuner Tagblatt, 27.11.2021, Roger Probst