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Zwischenstation Asylzentrum - Herausforderung für Seelsorgende

Die Flüchtlingsströme in die Schweiz sind so stark wie zuletzt vor 80 Jahren und es gibt kaum mehr freie Plätze in den Bundesasylzentren. Die Seelsorgenden stellt das vor Herausforderungen. Unterstützt werden sie in ihrer Arbeit auch von der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz.

Gewöhnlich wird im «Raum der Stille» im Bundesasylzentrum in Zürich (BAZ) gebetet. Vorletzte Woche ist der Andachtsraum jedoch notfallmässig zu einem Schlafplatz umfunktioniert worden. Aufgrund eines Konfliktes im BAZ in Chiasso mussten vierzig unbegleitete Minderjährige kurzfristig auf andere Zentren verteilt werden, ein Teil der jungen Männer wurde nach Zürich gebracht. Bisher gab es dort 380 Schlafplätze, neu stehen 500 Betten zur Verfügung, wie Arnold Steiner auf Anfrage von ref.ch erzählt. Steiner arbeitet seit rund dreissig Jahren als Seelsorger. Fast zwanzig Jahre war er reformierter Pfarrer in Winterthur, seit gut einem Jahr ist er in Wildberg im Zürcher Oberland tätig. Zudem arbeitet er als Seelsorger im Zürcher Bundesasylzentrum. In seinen Berufsanfängen war er Delegierter des Internationalen Roten Kreuzes IKRK. Der 59-Jährige ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder. Alle Gemeinschaftsräume seien umfunktioniert worden, um zusätzliche Schlafplätze einzurichten. In den einzelnen Schlafzimmern stünden noch mehr Betten als bisher. Bloss die Räume, die Kinder nutzten, die Essräume und eben der Andachtsraum blieben bisher frei. «Es ist eng und anspruchsvoll», sagt Steiner.

Gebetsraum frei halten

Für ihn stelle sich die Frage, ob es Bund und Kantonen gelinge, in den nächsten Monaten ausreichend Kapazitäten zu schaffen für die Asylsuchenden. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine steigen die Flüchtlingszahlen stark an. Allein im September stellten laut Staatssekretariat für Migration (SEM) fast 2700 Personen ein Asylgesuch. Anfang Oktober hat das SEM bekanntgegeben, dass die Flüchtlingszahlen so hoch sind wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Solange die Flüchtlinge auf den Entscheid des Bundes warten, sind sie in den Bundesasylzentren untergebracht. Da die Kapazitäten in diesen Unterkünften ausgeschöpft sind, beginnt das SEM, die Asylsuchenden auf kantonale Unterkünfte zu verteilen. Die Kantone müssen sich laut SEM darauf vorbereiten, wöchentlich bis zu tausend Asylsuchende aufzunehmen, was doppelt so viele Personen sind wie gewöhnlich. Flüchtlinge werden auch in unterirdischen Unterkünften untergebracht, da alle anderen Plätze voll belegt sind. «Es ist verrückt zu wissen, dass die nächste Migrationswelle anrollt, während die Zentren überfüllt sind. Wir bräuchten Reserven», sagt Pfarrer Arnold Steiner. Für ihn ist es zwingend, dass sein «Raum der Stille» im Zürcher Bundesasylzentrum frei bleibt und nicht eben auch noch als Schlafplatz genutzt wird. «Es braucht diese Rückzugsmöglichkeiten für das Gebet», betont er. Sowohl die Verantwortlichen im Asylzentrum als auch seine Kolleginnen bei der Zürcher Landeskirche unterstützten ihn. «Die Menschen im BAZ willkommen zu heissen, ist die eine Sache. Eine andere ist es, ihnen die Möglichkeit zu geben, Teil unserer Gesellschaft zu werden», sagt Steiner.

Kleine Kirchen auf Finanzspritze angewiesen

Verstärkt für Asylsuchende einsetzen will sich auch die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS). Die Synodalen haben im vergangenen Sommer an der Synode in Sion entschieden, die jährlichen Beiträge in einen Lastenausgleich zur Finanzierung von Seelsorge in den Bundesasylzentren von bisher 420'000 Franken auf neu 470'000 Franken zu erhöhen. An der EKS-Synode vom 7. und 8. November in Bern soll der Beschluss erstmals umgesetzt werden, indem die Synode die Gelder freigibt. Vor allem kleine Mitgliedskirchen, in denen Bundesasylzentren stehen, wie zum Beispiel in Neuenburg oder Obwalden, seien auf die finanzielle Unterstützung durch die EKS angewiesen, sagt EKS-Vizepräsidentin Esther Gaillard, zuständig für die Ressorts Diakonie und Seelsorge. «Die Mitarbeitenden in den BAZ stossen an Grenzen, und die Menschen, die dort ankommen sind unsicher, gestresst und ängstlich. Sie seelsorgerlich zu begleiten, ist eine Kernaufgabe der Kirche.» Die Arbeit, die Seelsorgerinnen in den BAZ leisten, sei wichtig und wertvoll. Die EKS will die BAZ-Seelsorger nicht nur mit mehr Geld unterstützten. Laut Gaillard habe die EKS verschiedene Impulse für die Weiterentwicklung der Seelsorge gegeben. Die knappe halbe Million Franken, mit welcher die EKS die BAZ-Seelsorge unterstützt, sieht Gaillard als elementaren Betrag. «Die Mitgliedkirchen, auf deren Boden sich die Bundesasylzentren befinden, kennen die Bedürfnisse am besten und können beispielsweise die Arbeitspensa der Seelsorgenden erhöhen», betont Gaillard. Sie wünsche sich, dass es gelinge, die interreligiöse Zusammenarbeit fortzuführen und die Seelsorge in den Bundesasylzentren qualitativ und strukturell weiterzuentwickeln sowie die Finanzierung zu sichern und zu stärken.

Synode debattiert den Schutz vor Übergriffen

Die Traktandenliste für die EKS-Herbstsynode in Bern vom 7. und 8. November 2022 ist reich befrachtet. Angesetzt sind unter anderem Wahlen für das Synodepräsidium. Amtsinhaberin Evelyn Borer sitzt sicher im Sattel, bisher sind keine Gegenkandidaturen bekannt. Zudem debattiert die Synode auch, wie kirchliche Mitarbeitende vor Grenzverletzungen, wie zum Beispiel sexuellen Übergriffen, geschützt werden könnten. Mitgliedskirchen sollen einem von der EKS erarbeiteten Schutzkonzept zustimmen und in einem verbindlichen Formular jährlich die Anzahl an Vergehen melden.

Berner stocken auf

Auch in der Stadt Bern sind die verstärkten Flüchtlingsbewegungen spürbar. Am Rande der Stadt, im Viererfeld, gibt es eine temporäre Flüchtlingsunterkunft. Seit dem 1. November 2022 arbeitet dort eine Sozialarbeiterin. Das Teilzeitpensum ist finanziert von den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn beziehungsweise der reformierten Gesamtkirchgemeinde Bern und der Stadt Bern, wie die Verantwortlichen in einer Mitteilung schreiben. Die Kirchgemeinden stellten vor allem Räumlichkeiten und Material zur Verfügung und engagierten sich personell. Die Idee ist, dass die Sozialarbeiterin dazu beiträgt, dass sich Geflüchtete mit Quartierbewohnerinnen austauschen. «Wir arbeiten daran, dass es zu einem Brückenschlag zwischen Geflüchteten und der Nachbarschaft kommt», lässt sich Johannes Knoblauch, reformierter Pfarrer der Kirchgemeinde Matthäus, zitieren.

Quelle: www.ref.ch, 2. November 2022, Johanna Wedl