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Was für die reformierten Kirchen dieses Jahr wichtig wird

Ein turbulentes Jahr ist gerade zu Ende gegangen, doch auch 2021 hält für die reformierten Kirchen einige Herausforderungen bereit. Eine Analyse der wichtigsten Themengebiete – von «Ehe für alle» bis Digitalisierung.

Wie politisch darf Kirche sein?

Die Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) im November hat die Diskussion darüber, wie politisch Kirche sein darf, neu befeuert. Wurde die Frage bisher allerdings vor allem von Insidern erörtert, interessiert sie nun weite Kreise ausserhalb der Kirche: In St. Gallen wollen drei Kantonsräte die Kirchen zur Neutralität verpflichten, in Zug und Bern haben bürgerliche Politiker aufgrund der KVI Vorstösse zur Abschaffung der Kirchensteuern für juristische Personen lanciert und auch im Bundesparlament wurden zahlreiche Motionen, Postulate und Interpellationen zum Thema eingereicht. Weil das Kirchenrecht in die Zuständigkeit der Kantone fällt, betreffen die Vorstösse auf Bundesebene zwar nicht die Kirchen direkt, sondern politisch tätige NGO. Zu denen gehören aber auch reformierte Institutionen wie Heks oder Brot für alle. Halten die Bürgerlichen den Druck auf die Hilfswerke aufrecht oder verstärken ihn gar, dann werden sich über kurz oder lang auch die Kirchen dazu positionieren müssen. Die Frage des politischen Engagements wird die einzelnen Kantonalkirchen aber auch intern beschäftigen. So sah sich etwa der Synodalrat der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn nach der Abstimmung zu dem Statement bemüssigt, in der Kirche müsse Platz für unterschiedliche Ansichten sein: «Selbstkritisch müssen wir erkennen, wo wir provoziert, polarisiert und verletzt haben und daraus unsere Lehren ziehen.» Ein entsprechender Diskurs sei bereits im Gang, heisst es in dem Communiqué vom 19. November. Ähnliche Debatten dürften in anderen Kantonen ebenfalls laufen.

Die «Ehe für alle» kommt


Seit Jahren beschäftigt die «Ehe für alle» die Politik wie auch die Kirchen. Im Herbst 2019 votierten die Delegierten des Evangelischen Kirchenbundes – heute Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) – klar dafür, die Ehe auch für homosexuelle Paare zu öffnen. Eine für alle Mitgliedkirchen bindende Regelung durfte die Institution aber nicht vorgeben, und so handelte es sich bei dem Entscheid auch lediglich um eine Empfehlung. Zudem riet der Kirchenbund den Mitgliedkirchen, die Einführung der «Ehe für alle» auf zivilrechtlicher Ebene abzuwarten. Das ist nun geschehen: Im Dezember 2020 stimmte das Parlament der entsprechenden Vorlage der Grünliberalen zu. Vorausgesetzt, das angekündigte Referendum ist nicht erfolgreich, dürfen ab 2022 auch schwule und lesbische Paare heiraten. Damit stellt sich für die Kantonalkirchen die Frage, ob und wie sie mit den Trauungen auf kirchlicher Ebene nachziehen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. So ist beispielsweise noch nicht restlos geklärt, wie genau die Gewissensfreiheit für Pfarrpersonen gewährleistet werden kann und wie mit Pfarrpersonen umgegangen wird, die sich negativ über Homosexualität oder die «Ehe für alle» äussern. Dieser Aushandlungsprozess wird die reformierten Kirchen 2021 beschäftigen.

Ein Frauentrio


Kurz nach ihrer Gründung im Januar 2020 geriet die EKS in eine handfeste Krise. Der Grund dafür waren Vorwürfe der sexuellen Grenzverletzungen gegen den Präsidenten Gottfried Locher, der daraufhin zurücktrat. Nun sollen drei Frauen die EKS wieder in die Spur bringen: Rita Famos, Marie-Claude Ischer und Evelyn Borer. Ischer steht der Kommission vor, welche die Vorwürfe gegen Locher aufarbeiten soll. Noch im Januar will eine mit der Untersuchung betraute Anwaltskanzlei ihren Bericht über die Vorfälle abgeben. Ischer und ihr Team werden diesen entgegennehmen, auswerten und daraus Empfehlungen an die Synode ableiten. Von ihrer Tätigkeit wird also nicht nur massgeblich abhängen, wie dieses Kapitel der EKS-Geschichte zu Ende geht, sondern auch, wie sich die Kirche künftig zum Thema Grenzverletzungen positioniert. Famos wiederum hat als neue Präsidentin gleich mehrere Aufgaben zu bewältigen. Dazu gehören die Geschäfte, die wegen der Krise in den Hintergrund gerückt sind und die nun zügig angepackt werden müssen. Die Handlungsfelder etwa sollen Klarheit darüber bringen, in welchen Bereichen die EKS in welcher Form tätig sein soll. Mit dem Neustart als Kirche Anfang Jahr ging zudem der Wunsch nach besserer Sichtbarkeit der Reformierten einher, wofür Famos massgeblich verantwortlich sein wird. Dabei steht sie vor der Herausforderung, gleichzeitig Profil zu zeigen und die Wogen zu glätten, die der Rücktritt Lochers geworfen hat. Natürlich kann und muss Famos nicht alles alleine bewältigen. Ihr stehen sowohl der Rat wie auch die Synode zur Seite, mit denen sie sich die Leitung teilt. Zu erwähnen ist deshalb auch die Rolle der neuen Synodepräsidentin Evelyn Borer. Ihr kommt die Aufgabe zu, die Sitzungen des EKS-Parlamentes zu leiten. Angesichts der Fülle der anstehenden Themen, die darüber hinaus durchaus heikel sind und zahlreiche Anträge mit sich bringen dürften, eine verantwortungsvolle Position.

Finanzen: Dunkle Wolken am Himmel

Steuerreformen, sinkende Mitgliederzahlen und nun auch noch die Corona-Pandemie: Den Kantonalkirchen stehen finanziell gesehen schwierige Zeiten bevor. Sie alle budgetieren für 2021 äusserst zurückhaltend, gehen von Gewinnen, die im Vergleich zu den Vorjahren deutlich geringer ausfallen, oder gar von Verlusten aus. In Bern und im Aargau wurden deshalb bereits Sparpakete angekündigt, in Basel-Stadt rät die GPK ebenfalls dazu. In anderen Kantonen wie etwa in Baselland oder St. Gallen rechnet man damit, die Einbussen durch Reserven abfedern zu können. Schwierig zu kalkulieren bleiben die Finanzen vor allem wegen der Corona-Pandemie. Zwar geht das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) davon aus, dass die Wirtschaft im Verlaufe des Jahres wieder anzieht. Zuletzt musste es seine Konjunkturprognose aufgrund der zweiten Welle jedoch nach unten korrigieren. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sind die Vorstösse zur Abschaffung der Kirchensteuern für Unternehmen. In Bern und Zug wurden diese erst kürzlich lanciert, in Glarus ist schon länger ein Vorstoss der Jungfreisinnigen hängig. Zwar wurden ähnliche Anliegen bisher immer klar abgewiesen; denkbar wäre aber, dass die Debatte über die KVI (siehe oben) die Stimmung in dieser Frage verändert hat.

Gesetze, Initiativen, Referenden

Auch wenn sich nach der KVI womöglich einige Kirchenvertreter etwas mehr Ruhe in politischen Fragen wünschen – 2021 stehen einige Themen an, bei denen das kirchliche Engagement erneut in den Fokus geraten dürfte. Zu nennen ist hier etwa die Korrektur-Initiative. Sie verlangt, dass die Schweiz keine Rüstungsgüter in Länder liefern darf, die in einen internen oder internationalen Konflikt verwickelt sind oder die Menschenrechte systematisch verletzen. Der Entscheid des Bundesrates, die Bestimmungen für Waffenexporte zu lockern, hatte im Sommer 2018 für starke Kritik gesorgt – auch unter Kirchenvertreten. Einen entsprechenden Protestbrief im Kanton Zürich unterzeichneten 150 Pfarrerinnen und Pfarrer. Initiiert hatte das Schreiben Johannes Bardill, Pfarrer in Horgen, der nun im Initiativ-Komitee sitzt. Der Bundesrat will dem Anliegen einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberstellen; die Botschaft dafür soll Anfang März vorliegen. Rechtlich geprüft wird derzeit das Freihandelsabkommen mit den MERCOSUR-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Es tangiert zahlreiche Bereiche, die von NGO – auch kirchlichen – als problematisch erachtet werden: Der Anbau von Soja, die Abholzung von Regenwald und die Verletzung von Menschenrechten, etwa unter dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Im März findet zudem die Abstimmung über das Freihandelsabkommen mit Indonesien statt. Je nach Ausgang dürften die NGO gestärkt in die Auseinandersetzung um das MERCOSUR-Abkommen gehen. Weitere politische Themen, die 2021 aus kirchlicher Sicht relevant werden könnten, sind die Organspende-Initiative, verschiedene Vorstösse im Bereich Klima und Umweltschutz wie etwa das Referendum gegen das CO2-Gesetz oder die Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot», über die bereits am 7. März abgestimmt wird.

Corona

Es ist so offensichtlich, dass es fast vergessen gehen könnte, aber natürlich wird auch die Corona-Pandemie die Kirchen in diesem Jahr beschäftigen. Dabei wird einerseits die Frage debattiert werden, ob es gelingt den Menschen in der Krise eine Stütze zu sein oder ob man mit dem Fokus auf die Beschränkungen für Gottesdienste nicht zu sehr Nabelschau betreibt. Andererseits aber wird es auch darum gehen, an Innovationen, die gerade im Lockdown stattfanden, anzuknüpfen und etwa in die Digitalisierung zu investieren. Denn hier haben die Schweizer Reformierten sicherlich noch Luft nach oben.

Quelle: www.ref.ch, 5. Januar 2021, Vanessa Buff